Medical Tribune
19. März 2018Hypochonder?

Molière in der Praxis

Ihr Patient ist felsenfest davon überzeugt, schwer krank zu sein, doch Sie konnten ein organisches Leiden sicher ausschliessen. Was machen Sie nun mit Ihrem Hypochonder?

Wie so oft im Medizinerleben kommt es auch beim eingebildeten Kranken zunächst stark auf die Anamnese an. Denn initial müssen Sie herausfinden, ob es sich bei den Beschwerden tatsächlich um eine manifeste hypochondrische Störung handelt oder ob die Hypochondrie eher Ausdruck und Symptom einer anderen psychischen bzw. hirnorganischen Erkrankung ist. Infrage kommen dafür z. B. Depression, Schizophrenie, Borderlinestörung oder eine Alzheimer-Demenz, schreiben Dr. David Kindermann und Professor Dr. Christoph Nikendei von der Klinik für Allgemeine Innere Medizin & Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg.

Der hypochondrische Patient lebt in der übermässigen und andauernden Sorge, an einer oder mehreren schweren körperlichen Krankheiten zu leiden, wobei er sich auf eine bange Selbstbeobachtung von vermeintlich abnormen Symptomen stützt. Diese Introspektion führt dann zu tatsächlichen physio­logischen Veränderungen, die der Betroffene wahrnimmt und voller Furcht in seine bisherigen Krankheitsannahmen integriert.

Finden Sie heraus, was die Kollegen geleistet haben

Mit jedem Durchlauf dieses kreisförmigen Prozesses verstärkt sich die Angst, an einer womöglich todbringenden Krankheit zu leiden. Können trotz aufwendiger Untersuchungen keine wegweisenden Befunde erhoben werden, weigern sich die Patienten häufig, dies zu akzeptieren. Psychologische Erklärungsmodelle lehnen sie ähnlich wie Panikkranke ab. In der Hoffnung, endlich «die richtige Diagnose für ihre schwere Erkrankung» zu bekommen, suchen sie vielmehr andere ärztliche Kollegen auf, was infolge redundanter Diagnostik und nicht zielführender Therapie-massnahmen zu enormen Kosten führen kann. Dabei, so die Erfahrung der Kollegen, bestehe immer auch die Gefahr der iatrogenen Fixierung und damit der Verstärkung der Symptomatik.

Sie sollten daher unbedingt bereits erfolgte Untersuchungen und vorhergehende Behandlungen erfassen. Ausserdem ist es wichtig, auf soziobiografische Aspekte und aktuelle oder vergangene Belastungsfaktoren einzugehen. Die Prävalenz der Hypochondrie in der Bevölkerung gibt das Autorenduo mit 0,02–8,5 % an.

Im Rahmen der weiteren Dia­gnostik gilt es, die hypochondrische von den somatoformen Störungen im engeren Sinne abzugrenzen. Während bei Letzteren die Klage über eine Vielzahl unklarer organischer Beschwerden und eine umfassende körperliche Symptombelastung im Vordergrund stehen, liegt bei eingebildet Kranken die Furcht vor einem ganz spezifischen körperlichen Leiden vor.

Medikamentöse Therapie macht es nur noch schlimmer

Die Behandlung der hypochon­drischen Störung beschreiben die beiden Autoren als schwierig. Den wesentlichen Grund hierfür sehen sie in der hartnäckigen Weigerung des Patienten anzuerkennen, dass sich für die vermeintliche schwere Erkrankung kein Anhalt finden lässt.

Erfolg versprechend seien kognitiv-behaviorale Therapieformen und psychodynamische Psychotherapien, wobei aber stets die zugrunde liegenden Konfliktfelder identifiziert und aufgearbeitet werden sollten. Für pharmakologische Therapien gibt es kaum Evidenz, ausserdem bergen sie die Gefahr, dass der Patient die Nebenwirkungen «hypochondrisch verarbeitet», was nachfolgend zu einer Symptomverschlechterung führen könne.

Quelle:
Kindermann D, Nikendei C. internist prax 2018; 58: 658–673.