Medical Tribune

Dicke passen nicht ins Schema F

Die medikamentöse Therapie Adipöser kann nicht einfach nach Schema F erfolgen. Denn die Gefahr einer Unter- bzw. Überdosierung ist bei dieser Personengruppe besonders gross. Auch die gewöhnliche Injektionsnadel ist mitunter zu kurz.

Unsere Patienten werden zunehmend schwerer, schreiben die klinischen Pharmakologen Dr. Marcus­ May und Professor Dr. Stefan­ Engeli­ von der Medizinischen Hochschule Hannover. Oftmals gestaltet sich die Versorgung von adipösen bis schwer adipösen Patienten mit Pharmaka im Praxis­alltag nicht ganz einfach, da folgende Zusammenhänge zwischen Körpergewicht und medikamentöser Therapie eine wichtige Rolle spielen:

  • Gewichtsabnahme oder -zunahme durch das Medikament
  • veränderte Kinetik
  • veränderte Wirksamkeit.

Manche Arzneimittel reduzieren das Gewicht, ohne dass dies therapeutisch erwünscht ist. Dazu zählen beispielsweise Topiramat (antiepileptische Therapie, Migräne-Prophylaxe), Roflumilast (COPD-Therapie), Bupropion und Fluoxetin (Depression). Zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, klingt zwar verlockend, aber da diese Arzneimittel nicht zur Gewichtsreduktion entwickelt wurden, sollten sie auch nicht als Abnehmhilfe missbraucht werden, so die Autoren.

Als Sonderfall gelten Medikamente wie beispielsweise GLP-1-Analoga und SGLT-2-Inhibitoren bei der Therapie des Typ-2-Diabetes. Bei ihnen ist eine gewichtsreduzierende Wirkung erwünscht, die vermutlich auch teilweise die Wirksamkeit erklärt. Zur gezielten Gewichtsabnahme steht derzeit eine Auswahl an chemischen, pflanzlichen und homöopathischen Präparaten zur Verfügung. Die einzigen Medikamente, deren Wirkung und Sicherheit bis heute in grossen Studien nachgewiesen wurden, sind Orli­stat (Lipasehemmer) und Liraglutid (GLP-1-Analogon). Ein neues Kombinationspräparat aus Bupropion und Naltrexon ist im Januar 2018 in der EU auf den Markt gekommen. Die Autoren betrachten es aber wegen der zahlreichen unerwünschten Wirkungen eher skeptisch.

Zu den gewichtssteigernden Medikamenten zählen:

  • atypische Neuroleptika (Clozapin, Olanzapin, Risperidon)
  • Antidiabetika (Insulin, Sulfonylharnstoffe und Pioglitazon)
  • Immunsuppressiva (Glukokortikoide, Ciclosporin, TNF-Blocker)
  • Lithium
  • Antidepressiva (Nortriptylin, Doxepin, Amitriptylin, Mirtazapin)
  • Antiepileptika (Pregabalin, Valproat, Gabapentin)
  • β-Blocker (Propranolol, Atenolol, Metoprolol).

Insbesondere im stark adipösen Körper (BMI > 35 kg/m2) spielt bei der Absorption die Applikationsform eine grosse Rolle. Transdermal, subkutan oder intramuskulär verabreichte Arzneimittel werden vom Körper deutlich langsamer aufgenommen, als dies bei normalgewichtigen Patienten der Fall ist. Manche landen versehentlich subkutan, weil die Injektionsnadeln zu kurz sind.
Die Dosiswahl bei Adipositas erfordert gewisse Kenntnisse über die pharmakokinetischen Eigenschaften des Präparats, insbesondere von Lipophilie und Verteilungsvolumen. Bei Medikamenten mit fixen Dosisvorgaben ist die Gefahr einer Unterdosierung hoch. Hingegen droht bei Arzneimitteln, die nach Körpergewicht bzw. -oberfläche dosiert werden, eine Überdosierung. Um beides zu vermeiden, sollte die Dosis individuell angepasst werden. Die Problematik ist bekannt – umso erstaunlicher ist es, wie wenig adipositasspezifische Dosisempfehlungen tatsächlich existieren.

Auf stark adipöse Patienten sind die üblichen Formeln zur Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate ggf. nicht anwendbar, weil sie für BMI > 36 kg/m2 nie validiert worden sind (z. B. Cockroft-Gault-Formel) oder von einer zu geringen Körperoberfläche ausgehen (MDRD-Formel). Selbst neuere Formeln wie beispielsweise die EPI-CKD-Formel oder Dosisberechnungen bei Zytostatika anhand der Körperoberfläche (Cave: Überdosierung!) sind nicht verlässlich.

Quelle:

May M, Engeli S.
internistische praxis 2018; 58: 674–686.