Medical Tribune
30. Nov. 2014Autounfall und was nun?

Schleudertrauma: Physiotherapie nutzlos?

Gut die Hälfte der Patienten, die ein Schleudertrauma erlitten haben, klagt sechs Monate später noch über Beschwerden. Reicht es, eingehend zu beraten oder sollten Sie eine intensive Physiotherapie veranlassen? Australische Forscher verglichen diese beiden Therapieansätze.

Grünes Auto liegt auf dem Dach
StevePatterson/gettyimages

Störungen nach Schleudertrauma verursachen allgemein hohe Kosten durch langfristige Therapie und Arbeitsausfälle. In einer randomisierten, kontrollierten Studie untersuchte das Team um Dr. Zoe A. Michaleff von der Universität Sydney 172 Patienten, die nach einem HWS-Schleudertrauma an chronischen Beschwerden litten.

Die Hälfte der Patienten nahm an einem umfangreichen Übungsprogramm teil (20 Physiotherapie-Stunden) die übrigen Teilnehmer erhielten eine 30-minütige Beratung und Trainingsanleitung durch einen Physiotherapeuten, den sie bei Fragen zweimal anrufen durften. Alle bekamen zusätzlich einen Patientenratgeber zum Thema Schleudertrauma ausgehändigt, der u.a. ein einfaches Übungsprogramm zur Schmerzreduktion enthielt.

Bei Schleudertrauma hilft Physiotherapie nicht besser als Beratung 

Primärer Endpunkt der Studie war der Schmerz, gemessen auf einer Skala von 0 bis 10 – zu Beginn der Studie sowie nach 14 Wochen, 6 und 12 Monaten. Es stellte sich heraus, dass das umfangreiche physiotherapeutische Übungsprogramm im Hinblick auf die Schmerzreduktion der Patienten nicht besser war als die einmalige Beratung mit anschliessender telefonischer Unterstützung.

Der durchschnittliche Schmerzscore sank in der Physiotherapie-Gruppe von initial 5,5 auf 3,7 nach zwölf Monaten. In der Beratungs-Gruppe ging der Score von 5,9 auf 4,4 zurück, schreiben die australischen Kollegen. Heisst das, dass man sich bei Schleudertrauma-Patienten eine aufwendige krankengymnastische Übungsbehandlung sparen kann?

Ganzheitliche Reha bei Schleudertrauma sinnvoll

Nein, meinen die beiden Kommentatoren Professor Dr. Jo Nijs und Kelly Ickmans von der Universität Brüssel. Die Frage sei vielmehr, welche Übungen zu welchem Zeitpunkt bei den Patienten eingesetzt werden sollten. Ausserdem weisen die Kommentatoren darauf hin, dass ganz verschiedene Faktoren mit im Spiel sind, wenn sich nach einem HWS-Beschleunigungstrauma länger anhaltende Beschwerden entwickeln.

Dazu zählen neben einer gestörten neuromuskulären Kontrolle und einer zentralen Sensibilisierung weitere Aspekte wie posttraumatischer Stress und kognitiv-emotionale Faktoren. In einem umfassenden Rehabilitationsprogramm für Patienten mit chronischem Schleudertrauma sollten all diese Punkte berücksichtigt werden, fordern die belgischen Kollegen.

Quelle: Zoe A. Michaleff et al., Lancet 2014; 384: 133-141