Medical Tribune
12. März 2013Erstrebenswerte BMI-Werte

Älterer Patient zu dünn? Kühlschrank inspizieren!

Was erstrebenswerte BMI-Werte angeht, so gilt die WHO-Klassifikation nicht für Menschen über 65 Jahre. Ab einem BMI < 20 kg/m2 wird es kritisch, schon bei 19 steigt die Mortalität signifikant. Hellhörig werden müssen Sie bei einem Verlust von 5 % des ursprünglichen Körpergewichts in drei Monaten.

Eine einzelne Banane im Kühlschrank
iStock/malerapaso

Das lässt sich oft nicht einfach feststellen. Viele Patienten kennen ihren Blutdruckwert von vor zwei Jahren, aber nicht ihr Gewicht. "Ermutigen Sie ältere Patienten, mindestens einmal im Monat ihr Gewicht zu dokumentieren", forderte die Nürtinger Internistin Dr. Ute Marszalek.

Energiebedarf für Senioren

Grundumsatz (ca 20 kcal/kgKG) x PAL-Index

  • PAL 1,2: überwiegend sitzende Lebensweise, alte gebrechliche Menschen
  • PAL 1,4: geringe körperliche Aktivität
  • PAL 1,4: mittlere körperliche Aktivität

Allein essen verdirbt den Appetit

Was treibt Senioren in die Malnutrition? Ein zentrales Problem: die soziale Isolation. In Gesellschaft schmeckt es, aber allein essen verdirbt vielen den Appetit. Ein wichtiges Indiz stellen dürftige Vorräte dar. "Werfen Sie beim Hausbesuch einen Blick in den Kühlschrank!", ermutigte die Referentin ihr Auditorium, "manches Mal werden Sie erschrecken."

Studiendaten belegen eine erhöhte Hospitalisierungsrate bei "weniger als drei Lebensmitteln". Vergewissern Sie sich, ob die Zubereitung von Mahlzeiten noch gelingt oder es Zeit für den mobilen Essensdienst wird. Bei Problemen mit der Nahrungsaufnahme kann angepasste Hilfsmittelversorgung und Ergotherapie helfen.

Untergewicht: Medikation prüfen und nach Depression forschen

Manchmal sind es auch Nebenwirkungen von Pharmaka, die älteren Menschen den Appetit verderben. Daher sollte man die Verordnungen regelmässig kritisch prüfen und nur das Nötigste weiterhin belassen. Zudem gilt es nach Depressionen zu forschen, in einem Drittel der Fälle ist eine seelische Verstimmung mit dem Gewichtsverlust assoziiert.

Als Appetitanreger dient eventuell "mehr Bewegung" – in dieser Hinsicht kann der Hausarzt wertvolle Motivationsarbeit für seine Patienten leisten. Und es spricht nichts dagegen, Pepsinwein oder Sherry als Aperitif zu empfehlen – ausser natürlich bei relevanter Suchtproblematik.

Wenn Kau- und Schluckbeschwerden die adäquate Nahrungsaufnahme behindern, sollte man auf Folgendes achten:

Das kann der Patient üben

1. Zunge: rein-/rausstrecken, hoch-/runterbewegen, Lippen & Zähne ablecken, Zunge gegen die Wangen drücken, Zungenschnalzen

2. Lippen: Lippen spitzen und breitziehen, zusammendrücken und platzen lassen, nach innen ziehen, Lieder pfeifen

3. Kiefer: Mund weit auf- und zumachen, Zähne aufeinanderbeissen, Kiefer nach rechts und links bewegen

Quelle: www.diaetverband.de
Link: Mini Nutritional Assessment

  • aufrechte Körperhaltung (wer kann im Bett liegend gut schlucken?)
  • gute Mundhygiene, Prothesenpflege, regelmässige zahnärztliche Kontrolle
  • bei Bedarf Becher mit Nasenausschnitt (weniger Überstreckung des Kopfes beim Trinken, geringeres Aspirationsrisiko)
  • adäquate Konsistenz der Speisen durch Pürieren und Passieren fester Speisen erreichen
  • Getränke mit Pulver andicken

Mit Sahne und Zucker die Kalorien erhöhen

Bei Patienten mit negativer Energiebilanz lässt sich einiges zur Kalorienanreicherung tun, so Dr. Marszalek weiter: Empfehlen Sie die Vollfettstufen von Nahrungsmitteln sowie die Zufuhr von Zucker (bevorzugt Maltodextrin) sowie industriell angefertigte Eiweiss-Produkte (qualitativ hochwertige Ernährung mit hoher Nährstoffdichte).

Kohlenhydrate sollten > 50 % der Gesamtenergie ausmachen, Eiweiss 0,8 g/kg und Fett 30 %, dazu Ballaststoffe mindestens 30 g täglich. Bei den Fetten kommt es v.a. auf Omega-3-Fettsäuren an: "Ermutigen Sie die Angehörigen, dem Senior ruhig mal ein gutes Walnussöl zu schenken und ihn ab und zu zum Fischessen einzuladen."

Die Kollegin riet, Vitamin D, Folsäure, Ballaststoffe und Kalzium als "kritische Nährstoffe" im Auge zu behalten. Hier wird sehr häufig eine Substitutionstherapie notwendig sein.

Praktische Tipps für Ihre Patienten

  • kleine Portionen auf den Teller, kleine Speisemengen in den Mund (Teelöffel voll), Trinken in kleinen Schlucken
  • am Essen riechen ggf. nachwürzen
  • Bissen gut kauen und einspeicheln, bis ein Speisebrei entsteht. Feste Kost nicht "zu früh" schlucken
  • pürierte Kost mit dem Teelöffel auf die Zungenmitte führen, leicht auf die Zunge drücken, Lippen schliessen, Löffel herausziehen und sofort schlucken (nicht an den oberen Zähnen "abstreifen"!)
  • nach dem Schlucken ggf. noch 1–2 Mal (leer) nachschlucken
  • Kopf beugen, bewusst und kraftvoll schlucken, dabei nicht reden
  • "Stimmprobe": zwischendurch "Oh" sprechen. Klingt die Stimme feucht? Wenn ja, nochmals schlucken, ggf. räuspern
  • sich Zeit lassen, nach ca. zehnmal Schlucken kleine Pause, sich unterhalten, das Essen geniessen

Quelle: www.diaetverband.de

48. Ärztekongress der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg, Stuttgart, 2013